Klassische Archäologie
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DFG-Projekt: Im Schatten des Iuppiter Anxur. Terracina und sein Heiligtum in hellenistischer Zeit

Seit 2019 untersucht das Institut für Klassische Archäologie im Rahmen eines deutsch-italienischen Forschungsprojektes das Terrassenheiligtum der römischen Hafenmetropole Terracina. Die Arbeiten umfassen stratigraphische Ausgrabungen, Bauaufnahmen, geophysikalische Prospektionen und geodätische Vermessungen im Areal des Heiligtums. Seit 2021 sind diese Bemühungen in ein DFG-Forschungsprojekt eingebettet, das die Ergebnisse der Ausgrabungen und der bauhistorischen Untersuchungen in den Kontext der regionalen und überregionalen Veränderungen in hellenistischer Zeit stellt.

 Geschichte

Die antike Stadt Tarracina, das heutige Terracina, liegt am Südrand der pontinischen Ebene auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel. Die ehemals volskische Siedlung Anxur wurde 329 v. Chr. als römische Bürgerkolonie neugegründet und bildete in hellenistischer Zeit eines der kulturellen, religiösen und ökonomischen Zentren in Latium. Die Siedlung befand sich spätestens ab dem 6. Jh. v. Chr. unter dem Einfluss Roms und wird bereits im 1. Karthager-Vertrag erwähnt. Seit 312 v. Chr. durch die Via Appia mit Rom und Capua verbunden und an den Ausläufern der Monti Ausoni strategisch günstig positioniert, entwickelte sich das antike Tarracina zu einer bedeutenden Hafenstadt. Deren Eliten nahmen sowohl im Senat von Rom, wie M. Aemilius Lepidus, als auch in Metropolen des griechischen Ostens, wie etwa L. Memmius, bedeutende Positionen ein.

Die Stadt und ihr Heiligtum gehören zu den am besten erhaltenen archäologischen Stätten hellenistischer Zeit in Mittelitalien. Tempel- und Sakralbauten, das Theater, die Stadtbefestigung und der Flusshafen, Bäder, private Wohnhäuser sowie Grabmäler zeugen bis heute von der einstigen ökonomischen Blüte Tarracinas zwischen dem späten 4. und dem 1. Jh. v. Chr. Die Bauten und die im Zusammenhang stehenden facettenreichen archäologischen Funde stellen ideale Untersuchungsobjekte dar, um wichtige Aspekte des vom überregionalen Handel geprägten Lebens zu erforschen. Zudem kann auch die Rolle Tarracinas als Bindeglied zwischen Latium und dem Mittelmeerraum neu bewertet werden. Eine hohe Anzahl von Gütern wurde vor allem in hellenistischer Zeit über den Umschlaghafen Terracina nach Mittelitalien und in die Stadt selbst importiert, aber auch exportiert. Innerhalb der die antike Welt umspannenden Handelsnetzwerke traten die mercatores aus Terracina in direkten Kontakt mit den Kulturen der Mittelmeerwelt.

Das Heiligtum auf dem Monte Sant’Angelo: Tempel für Iuppiter Anxur?

Terracina_Grabungsfläche_L

Herausragende Bedeutung fällt dem berühmten Terrassenheiligtum auf dem Monte Sant’Angelo zu, das über der Stadt thront und das Bild Terracinas bis heute eindrücklich prägt. Sowohl vom Meer im Süden als auch der pontinischen Ebene im Westen ist der Komplex bereits von Weitem sichtbar und lässt keinen Zweifel an seiner ehemals nicht nur kultischen, sondern auch höchst repräsentativen Bedeutung für die Stadt. Das Heiligtum setzt sich aus drei Terrassen zusammen:

Das Areal des piccolo tempio, dessen baulichen Überreste im Mittelalter zu einem großen Klosterkomplex umgebaut wurden, befindet sich im Nordwesten der Anlage. Im Südosten folgt die etwas höher gelegene und nach Süden orientierte Terrasse, auf deren mächtigen Substruktionen sich der grande tempio erhob. Sie verfügt darüber hinaus über eine Felsspalte mit Grotte, die möglicherweise als Orakelstätte gedient hat. Der gut erhaltene Unterbau des großen Tempels, der aus parallel angeordneten Kammern mit Bögen sowie einem dahinter liegenden Gang besteht, bildet das Wahrzeichen des archäologischen Parks und der heutigen Stadt Terracina. Der höchste Punkt des Berges wird von der als campo trincerato bezeichneten Zone eingenommen, die durch die Abarbeitung der Bergkuppe entstand. Dass es sich bei der Anlage – wie verschiedentlich vermutet ¬– um eine Militärfestung gehandelt hat, konnte bislang nicht bewiesen werden. Unmittelbar an die Nordwestecke des campo trincerato schließt die mit Rundtürmen versehene Wehrmauer an, die sich bis zur Stadt hin fortsetzt und diese mit ihrem Heiligtum verband.

Bautechnik, erhaltene Wand- und Fußbodendekorationen sowie die dokumentierten Funde deuten darauf hin, dass mit dem Ausbau des Heiligtums bereits im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. begonnen wurde. Somit gehörte die monumentale Terrassenanlage zu den frühsten ihrer Art in Latium und eignet sich im herausragenden Maße dazu, die schöpferische Innovationskraft der hellenistischen Zeit in der Region zu untersuchen.

Welchen Gottheiten die Tempel geweiht waren, ist nach wie vor nicht geklärt. Zumeist wird angenommen, dass es sich hier um den Kultort des Iuppiter Anxur, des „kindlichen“ Iuppiter, gehandelt hat, der als Stadtgottheit von Terracina verehrt wurde. Ebenso wurde Venus Obsequens oder die italische Feronia als Göttinnen des Heiligtums angenommen.

Ziele des Projekts

Im Rahmen des dreijährigen DFG Forschungsprojekts (2021–2023) soll die Entstehungszeit der Anlage bestimmt, die Architektur im Gesamtkontext des Heiligtums rekonstruiert und dessen Bedeutung für die Stadt sowie innerhalb der Entwicklungen im hellenistischen Italien sowie des Mittelmeerraums bestimmt werden.

Teilprojekt I: Archäologie und Architektur des Heiligtums auf dem Monte Sant‘Angelo

Terracina_grabungsbild_LZiel des Teilprojekts ist es, die Genese, Transformation und Funktion des campo trincerato und der Wehrmauer zu klären und die Ergebnisse mit Erkenntnissen über das gesamte Heiligtum auf dem Monte Sant’Angelo zusammenzuführen. Stratigraphische Ausgrabungen an zentralen Punkten beider Monumente dienen dazu, deren Entstehungszeitpunkt zu erfassen und den architektonischen Konnex der Bauten an neuralgischen Punkten nachzuvollziehen. Zudem werden neue Erkenntnisse zur Transformation der Baukörper in der Folgezeit erwartet. Auf Basis der bei den Ausgrabungen und Bauaufnahmen generierten Daten und Pläne soll die Einbindung des campo trincerato und der Wehrmauer in die Gesamtanlage und damit erstmals der chronologische und architektonische Zusammenhang der drei Terrassen respektive die Bau- und Nutzungsgeschichte des kompletten Heiligtums aufgezeigt werden.

Teilprojekt II: Das Heiligtum aus lokaler, regionaler und überregionaler Perspektive

Aufbauend auf Teilprojekt I soll das in vielfacher Hinsicht komplexe Heiligtum im lokalen, regionalen und überregionalen Kontext beurteilt werden. Dies geschieht im Rahmen dreier, unterschiedlichen Aspekten gewidmeter Einzeluntersuchungen, deren individuelle Ziele eng miteinander verknüpft sind. Sie ermöglichen es, die Ergebnisse der Arbeiten auf dem Monte Sant’Angelo nicht isoliert zu beurteilen, sondern in einen breiteren Vergleichshorizont sowie in aktuelle Fragenstellungen einzubetten.

a) Lokale Architektur – Bautechnik der Pontinischen Ebene (Dipl.-Ing. Knechtel)
b) Regionale Platzarchitektur – Heiligtümer und Forumsanlagen in Latium (Dr. Scheding)
c) Überregionale Handelsnetzwerke – Tarracinas Eliten im Mittelmeerraum (Dr. Diosono)

Lehrgrabung:

Das Ausgrabungsprojekt dient als Lehrausgrabung des Instituts für Klassische Archäologie der LMU München, an denen Studierende aller archäologischer Fächer teilnehmen können. Bewerbungen bitte via Mail an paul.scheding@lmu.de.

Ansprechpartner:

Dr. Paul Scheding

Projektmitarbeiterinnen:

Dr. Francesca Diosono
Dipl.-Ing. Miriam Knechtel

Förderung:

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 
Bayerische Akademie der Wissenschaften, Archäologische Untersuchungen und Ausgrabungen zur antiken Urbanität
Comune di Terracina

Kooperation:

Soprintendenza Archeologia Belle Arti e Paesaggio per le province di Frosinone e Latina
Museo Civico Archeologico "Pio Capponi", Terracina
TU München, Lehrstuhl für Geodäsie
TU München, Lehrstuhl für Baugeschichte
Alma Mater Studiorum - Università di Bologna, Dipartimento di Storia Culture Civiltà
Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Rom
Europeana EAGLE Project

Publikationen:

  • F. Diosono – P. Scheding, Pavimenti repubblicani e medievali in cementizio a base litica e fittile dal cd. Piccolo Tempio di Monte Sant'Angelo, Terracina, AISCOM 2021, 217–224
  • F. Diosono – P. Scheding, Gli scavi 2019–2021 al Piccolo Tempio, Piazza Domitilla 6, 2022, 32–4
  • F. Diosono – M. Knechtel – P. Scheding, Der unrasierte Gott – Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Kultplatz des Iuppiter Anxur von Terracina, Antike Welt 5, 2022, 25–30
  • F. Diosono – P. Scheding, Il Piccolo Tempio di Monte Sant'Angelo a Terracina: nuove ricerche, Archäologischer Anzeiger 2022/2, 172–197
    Online verfügbar
  • F. Diosono – M. Knechtel – P. Scheding, I molti enigmi del Campo Trincerato, Piazza Domitilla 6, 2022, 48–55
  • M. Knechtel, Das Terrassenheiligtum in Terracina. Neue Forschungen zum sog. Campo Trincerato, in Koldewey-Gesellschaft, Bericht über die 52. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 25. bis 29. Mai 2022 in Straßburg (im Druck)

Pressespiegel:

LMU Pressemitteilung
Italienischer Fernsehbeitrag (RAI3)
Italienischer Zeitungsbeitrag
Archaeological Institute of America Online
National Geographics: Roms verlorene Schätze. Episode: Die Anfänge eines Weltreichs