Pathos und Distanz. Der ironische Blick auf Gefühle in der hellenistischen Kunst und Literatur
Es ist ein Gemeinplatz, dass sich die Dichter und Künstler der hellenistischen Zeit mit einer bis dato ungeahnten Nahsichtigkeit die Inszenierung von Emotionen und körperseelischen Grenzerfahrungen widmen. Aber ist das alles immer ernst gemeint? Oder lassen sich in den vor Pathos triefenden Zeugnissen nicht auch immer wieder Elemente der Distanzierung und/oder Selbstreflexivität nachweisen, die auf eine ironische Brechung der mit dem Werk verbundenen Aussage hinweisen?
Dass die hellenistische Kultur weit über unmittelbare Affizierung und reine Gefühlstrunkenheit hinaus einen äußerst anspruchsvollen und bisweilen subversiven Umgang mit Emotionen pflegte, ist immer wieder gesehen worden. Dabei wurde bisweilen auch die ironische Brechung als Darstellungselement hellenistischer Bildwerke angesprochen. Allerdings wurde bislang noch nicht der Versuch unternommen, aus den verstreuten Einzelbeobachtungen zu ironischen Bildstrategien verbindliche Kriterien zur Identifizierung und Analyse ironischer Elemente und/oder Darstellungmodi in der (hellenistischen) Bildkunst zu entwickeln. Angesichts der »proteischen Verfasstheit« des Ironiegebriffs und der damit einhergehenden definitorischen Schwierigkeiten ist dies kaum verwunderlich.
Noch problematischer gestalten sich Fragen nach Funktion und Bedeutung ironischer Elemente und Darstellungsmodi in der hellenistischen Kunst. Soll damit die vordergründig dargestellte Emotion ins Gegenteil verkehrt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden? Das raffinierte Spiel mit dem Gefühl – ein Zeitvertreib für die highbrows, die sich dem hyperbolischen Pathos mit interesselosem Wohlgefallen hingeben? Während Ironie in der Vergangenheit häufig im Sinne eines unbeteiligten »Über-den-Dingen-Stehens« verstanden wurde, heben jüngere kognitionswissenschaftliche Studien im Gegenteil die emotionalen Konnotationen ironischer (Sprech-)Akte hervor: Distanzierung durch Ironie, so die These, setzt eine emotionale Beteiligung voraus. Lässt sich die Ironie vor diesem Hintergrund als Bewältigungsstrategie verstehen, welche die in den Bildern (und Texten) zum Ausdruck gebrachten Affekte und Gefühle nicht außer Kraft setzt, sondern im Gegenteil sublimiert? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus wiederum in Bezug auf die Erfahrungswelten der Zeitgenossen ziehen?
Diesen Fragen möchte ich im Rahmen meines Projektes in interdisziplinärer Perspektive nachgehen. Als chronologischer Rahmen der Studie dient die hellenistische Zeit, da sich hier das komplexe Zusammenwirken von Pathos und Distanz in besonders prägnanter Weise entfaltet. Auch die im Hellenismus nachweisbare enge Verzahnung von Literatur und Kunst – nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf formaler Ebene – bietet eine ideale Grundlage, um das bislang primär sprachlich konnotierte Phänomen der Ironie auch in visuellen Medien zu greifen: Viele der in den Sprachwissenschaften herausgearbeiteten Ironiesignale (Verstellung, Kontrast, Bruch mit Erwartungshaltung oder Norm) finden sich nun auch in einzigartiger Dichte in den Bildwerken. Aus kulturgeschichtlicher Sicht verspricht der Hellenismus schließlich auch deshalb prägnante Ergebnisse, da nun das Individuum in seiner spezifischen Verfasstheit programmatisch in den Blick genommen wird – eine Grundvoraussetzung nicht nur für einen gesteigerten Stellenwert von Emotionen, sondern auch für das erfolgreiche Wirken von Ironie.
Zoophiles Tête-à-tête: Pan und Ziege
Auf den Knien begattet der Hirtengott Pan eine vor ihm auf dem Rücken liegende Ziege, voll angespannter Erregung beugt er sich nach vorn, packt sein Gegenüber am Bart und fixiert es mit herausforderndem Blick und vorgerecktem Kinn. Die Ziege erwidert seinen Blick mit schräg zur Seite geneigtem Haupt und heraushängender Zunge, während sie die Vorderläufe eingeknickt und einen ihrer Hinterläufe auf seiner Schulter abgelegt hat. Die vordergründig derbe Komposition ist voll von ironischen Brechungen.
Der auffällige Gegensatz zwischen der künstlerischen Qualität und dem niederen Sujet des Werkes, zwischen Obszönität und Finesse, ist typisch für das hellenistische Genrebild, er findet sich bei etlichen Skulpturen wie der ›Trunkenen Alten‹ oder dem ›Altern Fischer‹, aber auch in der zeitgenössischen Bukolik, wenn etwa Theophrast seine einfältigen Hirten in vollendeten Hexametern sprechen lässt. Im Fall von Pan und Ziege wird dieses ironische Spannungsverhältnis durch den Kontrast von Physiognomie und Habitus auf die Spitze getrieben: Pan penetriert seine Sexualpartnerin nicht, wie sonst bei Darstellungen vom Geschlechtsverkehr zwischen Mischwesen und Tieren üblich, a tergo, sondern in einer typisch menschlichen Position, die einen verliebten Blickkontakt der beiden ermöglicht und dem zoophilen Tête-à-tête eine nachgerade romantische Note verleiht. Selbst im Vergleich mit rein menschlichen Sexdarstellungen begegnet uns hier eine überdurchschnittliche gefühlvolle Schilderung des Liebesaktes.
Die auf Überraschungseffekte zielende Bildschöpfung wird in ihrem ursprünglichen Aufstellungskontext, einem von dionysischen Bildwelten bevölkerten Peristylgarten, in erster Linie für Erheiterung gesorgt haben. Doch ihre Funktion und Bedeutung erschöpft sich nicht im Possenhaften. Über den Modus der Ironie werden hier vielfältige Denkanstöße gegeben, über die Unterscheidung von Mensch und Tier, das Wesentliche menschlicher Emotionen nachzudenken. Was unterscheidet uns von Pan und Ziege?