Visuelle Metaphern. Das Uneigentliche in antiken Bildern und Texten (Workshop)
Während die Analysekategorie der Metapher in textbasierten Disziplinen wie der Rhetorik, Sprachwissenschaft und Psycholinguistik eine lange Tradition aufzuweisen hat, fristet sie in der Bildwissenschaft ein kümmerliches Dasein. Dies ist zunächst den unterschiedlichen Darstellungsverfahren von Bildern und Texten geschuldet: So sind die seit der antiken Rhetorik entwickelten Definitionen und Kriterien der sprachlichen Metapher aufgrund medialer Differenzen nicht ohne Weiteres auf die Analyse von Bildern zu übertragen. Allerdings birgt die Metapher gerade in der antiken Bilderwelt aus mehreren Gründen ein großes heuristisches Potential. Erstens können Gottheiten und Mythen schon in der Antike als Urmetaphern verstanden werden, deren ›Hintersinn‹ (hyponoia) Aussagen über abstrakte Konzepte wie etwa Liebe und Begehren vermittelt. Zweitens spielen Personifikationen und Allegorien als fortgesetzte Metapher in der antiken Bildkunst –und deren Erforschung – eine zentrale Rolle. Mit dem Analysebegriff der Metapher ist es möglich, die Funktion und Bedeutung der beteiligten Einzelelemente gezielter in den Blick nehmen. Drittens lässt sich angesichts der engen Verflechtung von Bilderwelt und Literatur zeigen, dass zahlreiche sprachliche Metaphern auch in den Bildern ihre Entsprechung finden, dass also die gleichen metaphorischen Strukturen in verschiedenen Medien zum Ausdruck gebracht werden. Und viertens birgt die naturalistische Darstellungsweise selbst ein enormes metaphorisches Potential, da sie stets den Bezug zur realen Welt aufrechterhält und gleichzeitig neue, symbolische Bedeutungsebenen eröffnet. Die Herausforderung besteht darin, diese duale Natur der Bilder als konkrete, aber zugleich metaphorisch aufgeladene Darstellungen zu analysieren.
Alle vier Aspekte lassen sich an der Figur des Liebesgottes Eros exemplarisch nachvollziehen: Er schillert (erstens) zwischen Gottheit und Gefühl, ist göttliche Urkraft und personifiziertes Begehren zugleich. Seine Ikonographie setzt sich (zweitens) aus einzelnen Merkmalen und Attributen wie Jugend, Beflügelung sowie Pfeil und Bogen zusammen, die ihr jeweils eigenes metaphorisches Potential bergen und in der Zusammenschau ein facettenreiches Bild antiker Liebeserfahrung vermitteln. In Eros als Kunstfigur verschmelzen (drittens) literarische und visuelle Traditionen zu einem vielschichtigen Amalgam aus Bedeutung, das nur in der Zusammenschau und nur in metaphorischer Perspektive entschlüsselt werden kann. Und schließlich (viertens) fungiert Eros dank seiner anthropomorphen und naturalistischen Gestalt auch stets als mediale Projektionsfläche des Betrachters: er ist ein Kunstprodukt aus verschiedenen metaphorischen Operationen und zugleich der Körper, an dem sich das Begehrens ausagiert. Metaphorische Bildsprache ist kein Spezifikum des geflügelten Liebesgottes, sondern durchherrscht die visuelle Kultur der Antike – es ist also an der Zeit, ihr mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Im Workshop sollen nationale und internationale Kolleg_innen aus verschiedenen Disziplinen zusammenfinden, die sich in unterschiedlicher Tiefe mit sprachlichen und/oder visuellen Metaphern beschäftigen. Angestrebt ist eine Mischung von ausgewiesenen Experten auf dem Feld der Metapherntheorie sowie solchen Wissenschaftlern, die potentiell metaphorisches Bildmaterial bearbeiten, sich bislang aber noch nicht mit den methodischen Schwierigkeiten des Phänomens beschäftigt haben. Ziel des Workshops ist es, die Metapher als ein über sprachliche Erzeugnisse hinausgehendes Phänomen in den Blick zu nehmen sowie Möglichkeiten und Grenzen dieses Begriffs für die Analyse antiker Bilder und Artefakte auszuloten.